Bericht • 21.02.2011
Ergonomie an der Kasse lohnt sich für den Handel und fürs Personal
Breite Gänge im Laden, die Kunden sollen in aller Ruhe aussuchen. Doch an der Kasse wird es eng und es soll schnell gehen. Im Supermarkt scannen Kassiererinnen über 80 Artikel pro Minute. Stress und Verantwortung belasten ihre Gesundheit, ebenso die immer gleichen Bewegungsabläufe. Ergonomie am Kassenplatz ist eine Investition, die sich lohnt.
„Gesundheitsschutz ist nicht nur eine finanzielle Frage. Er drückt auch die Wertschätzung für die Mitarbeiter aus und trägt so zur Mitarbeiter-Motivation bei“, sagt Dr. Bernward Siebert, Berliner Landesvorsitzender des Verbandes Deutscher Betriebs- und Werksärzte (www.vdbw.de). „Einiges ist im Handel im Laufe der Jahre besser geworden“, bilanziert er. Siebert arbeitet beim Arbeitsmedizinischen Dienst des TÜV, der Unternehmen verschiedener Branchen berät.
Heute, so Siebert, sind weniger Kassiererinnen der Zugluft im Eingangsbereich ausgesetzt. Discounter sparen Energie mittels Windfang am Eingang, Kassenplätze sind auch durch transparente Rückwände abgeschirmt. Bei vielen Handelsunternehmen wachse das Bewusstsein für den Wert guter Mitarbeiter. Sorgen bereiten ihm manche kleine Fachgeschäfte, die noch nicht einmal einen Sozialraum haben.
Verbesserungen müssen gar nicht teuer sein. Siebert schlägt zum Beispiel vor, dass größere Getränke-Gebinde mit einem abreißbaren Barcode versehen werden. Mit einem Hinweisschild könnte man die Kunden informieren, dass sie die Pakete nicht aufs Förderband wuchten müssen, sondern nur den Abschnitt mit dem Strichmuster benötigen. „Damit wäre beiden geholfen, den Kunden und den Mitarbeiterinnen – und das Scannen wäre sogar noch viel schneller“, argumentiert er. „Der Handel müsste nur bei den Getränke-Abfüllern etwas Druck machen.“
Krankmeldungen haben viele Ursachen
Argumente – das sind die Möglichkeiten der Arbeitsmediziner. Sie haben keine Weisungsbefugnisse gegenüber den Firmen, von denen sie gemäß gesetzlicher Vorschriften beauftragt werden. Sie beraten die Unternehmer und können damit helfen, die Zahl der Krankmeldungen zu reduzieren. Die Ursachenforschung ist dabei nicht immer leicht, schließlich wird sich eine Kassiererin kaum wegen Rückenschmerzen krank melden, will sie nicht ihren Arbeitsplatz riskieren. Stattdessen führt dann eine Grippe oder Migräne zur Krankschreibung. „Viel zu wenige Hausärzte fragen nach der beruflichen Situation“, kritisiert der Siebert.
Zur richtigen Gestaltung von Kassenarbeitsplätzen mit Anordnung der Waren, Geräte und Bedienelemente gibt es genaue Vorschriften. „Das sind über 300 Seiten von der Berufsgenossenschaft“, schätzt Hartwin Tackenberg, Inhaber des gleichnamigen Kassentisch-Unternehmens aus Bochum (www.tackenberg.eu). Tackenberg baut keine Standardtische auf Vorrat, sondern nach den Wünschen des Handels und den Vorschriften.„Doch alle Vorschriften sind nutzlos, wenn sie im Unternehmen nicht gelebt werden“, erklärt er.
Der Handel analysiert alle Arbeitsabläufe sekundengenau auf der Suche nach Einsparungen. Man nutzt außerdem anthropometri¬sche Daten, Maßverhältnisse des menschlichen Körpers. Da meist Frauen an der Kasse arbeiten, zieht man oft die Normdaten von Frauen heran. „Die Größenunterschiede bei den Frauen sind aber enorm“, so Siebert. Wichtig ist das Gesichtsfeld und die Greifgeometrie, wichtig sind auch die Bewegungsräume und die Möglichkeiten für Ausgleichsbewegungen im Stehen und Sitzen. Dabei genügt es nicht, nur auf die Höhe der Arbeitsfläche zu achten, denn es kommt auch auf die Größe der Produkte an. Je höher die Waren, desto niedriger sollte die Arbeitsfläche sein.
Viele Kassiererinnen leiden unter psychischen Belastungen, Stress durch den Zahlungsverkehr und den rasch wechselnden Kundenkontakt. Schmerzen am Stütz- und Bewegungsapparat sind weit verbreitet. Belastet werden die Wirbelsäule, die Rücken- und Halsmuskulatur. Bei andauerndem Sitzen werden die Beine überlastet, bei stehender Tätigkeit sind die Venen der wunde Punkt.
Abwechslung ist gesünder
Stehkasse oder Sitzkasse? Aus arbeitsmedizinischer Sicht wäre eine Kombination ideal – also ein flexibler Kassenarbeitsplatz, dessen Höhe und Anordnung jeder Mitarbeiter und jede Mitarbeiterin mit wenigen Handgriffen für die eigenen Bedürfnisse einrichten und während der Arbeit ändern kann. Solche Kassentische sind im LEH selten. Zu sehen sind derartige Modelle von Tackenberg jedoch in den Lebensmittel-Abteilungen der Karstadt-Häuser. Die Kunden müssen dann die Ware eventuell höher heben, um sie aufs Band zu legen.
Zum gesundheitlichen Problem werden die ständigen Wiederholungen an sich einfacher Abläufe. Der menschliche Arm wiegt rund dreieinhalb Kilogramm, rechnet Arbeitsmediziner Siebert vor. Wenn eine Kassiererin hundert Mal am Tag mit ausgestreckten Armen die EC-Karte ins Terminal stecken und dieses zwecks PIN-Eingabe zum Kunden drehen muss, dann summiert sich dies zu einer hohen Belastung. Oft kommt die Ware auf dem Förderband von rechts, der rechte Arm schiebt über Stunden die Ware weiter.
Auch bei der nächsten EuroShop zeigen die Kassentisch-Hersteller, wie der Handel diese Abläufe angenehmer gestalten kann. Mehrere Aussteller präsentieren stabile Gerätesäulen für Kasse, Tastatur, Display, Kartenterminal und Bondrucker, die dem Personal gewisse Freiheiten gewähren. Omnidirektionale Scanner erleichtern die Erfassung, das Personal muss die Artikel weniger als früher drehen, um den Barcode zu suchen. Die Artikel können in mehreren Richtungen über das Lesegerät gezogen werden.
Einen pragmatischen Vorschlag macht der Facharzt für Arbeitsmedizin, Dr. Bernward Siebert: „Die Mitarbeiter in den Filialen sollten sich häufiger bei den anfallenden Tätigkeiten abwechseln“. Auch das Einräumen von Regalen – zum Teil über Kopf oder über den Kühltruhen mit vorgestrecktem Oberkörper – ist auf die Dauer Schwerstarbeit. Und das gilt auch für Kartonstapel im Schuhgeschäft, im Modehaus oder Sportshop.
René Schellbach, Erstveröffentlichung: EuroShop.de
Themenkanäle: Kassensysteme, Kassen, Kassentische