Interview • 21.01.2010

Bei den Waagen wird die Software immer wichtiger

Interview mit Daniel Joha, Head of Retail Marketing Management bei Mettler-Toledo

Die Waagen im Handel können immer mehr. Sie werden in die Unternehmens-IT integriert und sie werden noch mehr Funktionen erfüllen, glaubt Daniel Joha, der beim Waagen-Hersteller Mettler-Toledo das Retail Marketing Management leitet. Digital Signage und elektronisch gestütztes Lernen am Arbeitsplatz sieht er nur als einen ersten Vorgeschmack. Das Personal braucht dazu kein Expertenwissen. Joha sagt: Ein modernes Handy zu bedienen, ist komplizierter als die Steuerung der Inhalte auf den modernen Waagen.

Seit einigen Jahren stellen die Waagen-Hersteller Geräte mit großen Kundendisplays vor. Was hat sich im Laufe der Zeit getan?

Seit geraumer Zeit verzeichnet Digital Signage im Einzelhandel rasante Zuwachsraten. Diese Entwicklung kann jeder Verbraucher beobachten, der mit offenen Augen durch seine Stadt geht, ob am Bahnhof, in den großen Markenartikel-Läden, im Elektronikmarkt – und auch immer mehr in Lebensmittelgeschäften. Ein wesentlicher Grund für die zunehmende Verbreitung ist sicherlich, dass die Bildschirmtechnologien in den letzten Jahren erschwinglicher und gleichzeitig leistungsfähiger geworden sind. Das gilt auch für die Waagen, die in der Mittel- und Oberklasse heute mit TFT-Monitoren ausgestattet und im Regelfall PC-basiert sind. Die TFT-Technologie und die wachsende Rechen- und Speicherleistung bieten das Potenzial, auch die Verkaufstheke für Digital Signage-Konzepte zu nutzen, durch die Einblendung aktueller Angebote und Zusatzinfos und sogar durch Videoeinspielungen. Viele Käufe sind schließlich Impulskäufe – auf dem Waagen-Bildschirm erreiche ich den Verbraucher unmittelbar zum Zeitpunkt seiner Kaufentscheidung. Das verschafft mir jede Menge Möglichkeiten für Maßnahmen zu Verbundverkäufen und die Untermauerung meiner Printkampagnen.

 Immer wieder gibt es interessante Tests im Handel. Welche Projekte haben Sie zurzeit?

Bei uns laufen derzeit Projekte mit visueller Verkaufsförderung auf Kundenmonitoren unserer Waagen unter anderem in den USA, Österreich und Deutschland. Bereits im Sommer 2008 führten wir beispielsweise in Deutschland ein Projekt mit Rewe Istas in Köln durch. Hier hatten wir während der Fußball-EM gemeinsam mit dem Kunden gezielte Aktionen, mit denen wir das Verbundverkaufspotenzial solcher Lösungen ermitteln wollten. Die Ergebnisse waren ausgesprochen vielversprechend: Rewe Istas verzeichnete bis zu 200 Prozent Absatzplus bei ausgewählten Weinen, die an der Käsetheke passend zum gekauften Käse beworben wurden. Derzeit starten wir mit ADEG Holub in zwei Märkten in Österreich ein etwas anders geartetes Experiment: In diesen Läden werden über große Bildschirme hinter der Verkaufstheke die überregionalen Kampagnen und Preisaktionen unterstützt. Das Material hierfür wird von der Zentrale eingespeist. Die visuelle Verkaufsförderung auf den Kundenbildschirm der Waagen hingegen soll dazu dienen, lokale Produkte und Angebote zu bewerben und wird vom jeweiligen ADEG-Markt gesteuert. Dabei wollen wir in Kürze auch ausprobieren, was passiert, wenn auf dem Monitor statt eines Aktionspreises ein regulärer Artikel zur Gratis-Verkostung angeboten wird. Sprechen Kunden das Verkaufspersonal darauf an? Wir sind selbst gespannt.

Fehlt es dem Handel an Mut zu Innovationen?

Überhaupt nicht. Man darf aber nicht aus dem Blick verlieren, dass die Möglichkeiten noch recht neu sind und deren Implementierung auch eine gewisse Vorlaufzeit erfordert: Wie kommt der Inhalt auf die Waage? Wer liefert den Inhalt? Wo ziehe ich die Grenze zwischen Zentralisierung und lokalen Eingriffsmöglichkeiten? Um es an einem Beispiel festzumachen: Die Zentrale speist die Bildschirmwerbung für ausgewählte Sonderangebote ein. Was aber passiert, wenn dieser Artikel in Filiale X ausverkauft ist oder erst übermorgen wieder vorrätig – kann der Filialist dann eingreifen? Und wenn ja, wie viel Selbstbestimmung und Selbstverantwortung übergebe ich an ihn? Ich bin mir sicher, es ist nicht der Mut zu Innovationen, der dem Handel fehlt. Es ist in erster Linie eine Frage der Prozesse. Der Einsatz von Werbemitteln direkt am Ort der Kaufentscheidung gewinnt neben der klassischen Handzettelwerbung zunehmend an Bedeutung – es gilt nun, den Kundenbildschirm der Waage als einen sehr effektiven Kommunikationskanal mit all seinen Möglichkeiten in den Marketing-Mix zu integrieren.

 Wo sehen Sie die größten Hindernisse bei der Einführung der neuen Waagen-Generation auf breiter Front?

Ehrlich gesagt: Ich sehe keine Hindernisse. Das zeigen alle großen Ausschreibungen der letzten zwei Jahre. Große Einzelhändler, die vor der Investition in eine neue Waagen-Generation stehen, sehen die Waage in erster Linie als Synapse zum Kunden und zu ihrer Warenwirtschaft. Und immer häufiger eben auch als ein zusätzliches Instrument für ihre Marketing-Maßnahmen. Die Touchscreen-Waage braucht da nicht wie sauer Bier an den Mann gebracht werden. Ganz im Gegenteil. Touchscreen ist bei Neuinvestitionen der Großen eigentlich so selbstverständlich wie bei der Bank die Geldautomaten. Kleinere Einzelhändler sind da sicherlich noch zurückhaltender. Bei ihnen ist von vornherein klar, dass sie sich später mit hoher Wahrscheinlichkeit selbst um die Inhalte kümmern müssen. Aber auch da wird es in Zukunft ein breiteres Angebot an Lösungen geben, etwa wichtige Standardinhalte wie professionelle Werbefotos, die ich über Service-Anbieter beziehen oder abonnieren kann.

Die Waage wird zum Teil der IT im Laden, sagen Sie. Wunschdenken oder reale Perspektive? Und was müssen Sie dem Handel bieten, damit der Wunsch zur Wirklichkeit wird?

Weder Wunschdenken noch reale Perspektive, sondern handfeste Gegenwart. Wenn wir mit den Großen der Branche zusammensitzen, dann geht es, wenn man es überspitzt formulieren will, nur noch am Rande um die Wägetechnik. Viel wichtiger ist die Integration der Waage in die IT. Welche Daten habe ich? Wie kann ich sie auswerten? Wie kann ich sie mit der Logistik verknüpfen? Wie kann ich möglichst flexibel die Kundenbildschirme der Waagen zur Erhöhung des Abverkaufs nutzen?

Der Erfolg von Visual Merchandising hängt ab vom Content. Auf welche Inhalte kann der Handel an der Theke hoffen und wer bietet sie zu welchen Kosten an?

Da ist der Markt derzeit noch völlig in Bewegung. Es wäre auch vermessen zu behaupten, dass hier schon eine allgemein akzeptierte Preisfindung stattgefunden hätte. Es gibt allerdings schon Anbieter, die hochprofessionellen Content liefern können – ABSOLUT WEB etwa, die im Zusammenspiel mit der Standardsoftware PRESTIGEenterprise zentral auf unsere UC3 Waagen aufspielen können – ganz so, wie die Kunden es wünschen.

Für Schachteln, Dosen, Tuben und Flaschen gibt es Stammdatenbanken. An der Frischetheke hat es der Barcode schwer. Wollen Sie eine eigene Frische-Datenbank aufbauen?

Es ist durchaus unser Ziel, Frische-Daten zu sammeln. Dazu haben wir vor wenigen Monaten eine Initiative gestartet und an Importeure, Großhändler und Lebensmittelhersteller appelliert, uns hierin zu unterstützen. Wer mitmacht, kann seine Daten online an uns übermitteln. Auf Wunsch unterstützen wir auch Interessenten bei der Übernahme der Frische-Daten. Diese Initiative wollen wir in 2010 weiter forcieren. Zu den jüngsten Neuzugängen bei der Sammlung dieser Frische-Daten zählen im Bereich der Wurst- und Fleischwaren beispielsweise die Produkte der hessischen Firma Rack & Rüther sowie von H. & E. Reinert Westfälische Privat-Fleischerei. Des Weiteren halten wir aber auch die Augen offen, wo sich Chancen für Kooperationen ergeben. Es geht darum, dass der Lebensmitteleinzelhandel möglichst schnell auf ein möglichst umfassendes Angebot an Frische-Daten zugreifen und diese in der Kundenberatung nutzen kann.

Metzger, Bäcker und Käseverkäuferinnen sind keine IT-Spezialisten. Wie kann man ihnen die Steuerung der Inhalte auf den Kundendisplays abnehmen?

Glauben Sie mir: Man muss da gar kein IT-Spezialist sein. Wer mit seinem Handy oder seinem MP3-Spieler zurecht kommt, der kriegt auch die Wiedergabeliste auf seiner Waage zusammen. Der Vergleich trifft es übrigens ganz gut. Wenn Sie die Bedienoberflächen vergleichen, so haben diese durchaus gewisse Ähnlichkeiten. Ich behaupte sogar: Ein modernes Handy zu bedienen ist komplizierter als die Steuerung der Inhalte auf unseren Waagen!

Ist das nicht alles ziemlich teuer? Sollte der Händler lieber in Weiterbildung fürs Personal investieren?

Qualifiziertes Personal ist sicherlich wichtig. Lassen sie es mich etwas polemisch formulieren: Die Waage läuft Ihnen nicht weg. Der qualifizierte Mitarbeiter vielleicht schon. Ich mache Ihnen einen Gegenvorschlag: Sie binden die Waage in die Qualifizierung der Mitarbeiter ein, indem sie regelmäßiges E-Learning an den Waagen durchführen. Nehmen Sie als Beispiel Hygiene-Schulungen, Reinigungstipps, Tipps zum Verkaufsgespräch und so weiter. So bleibt das Wissen im Haus und kann auch dazu dienen, weniger Qualifizierte Schritt für Schritt weiterzubilden. Sie investieren so in ein Weiterbildungsinstrument, das allen zur Verfügung steht, auch jedem neuen Mitarbeiter. Insofern ist das durchaus auch eine Maßnahme der Weiterbildung des Personals. Und qualifiziertes Personal hat immer seinen Preis. Entweder von Anfang an auf dem Lohnzettel, oder über den Aufwand, den ich in die Qualifizierungsmaßnahmen stecke.

Produktschulung am Theken-Terminal: Haben die Mitarbeiter überhaupt ausreichend Zeit fürs E-Learning?

Da kann ich nur an den Einzelhändler appellieren: Qualifizierung ist wichtig, die Zeit muss sein! Es sagt ja niemand, dass zu einer festen Uhrzeit die Schulbank gedrückt werden muss. Montagmorgen bis Samstagabend ist nicht immer gleich viel los. Warum also nicht in verkaufsärmeren Zeiten eine drei- bis fünfminütige E-Learning-Lektion absolvieren? Jede Verkaufskraft dann, wenn sie Zeit dazu hat – und die Waage protokolliert, wenn ein „Pflichtfach“ wie etwa neue gesetzliche Bestimmungen noch nicht absolviert wurde.

Wie groß ist inzwischen der Software-Anteil oder der Support an Ihrem Geschäft?

Der Anteil der Software wird für die Leistungsfähigkeit einer Wägelösung immer wichtiger. Kostenseitig zeigt sich diese Gewichtsverschiebung von der Hardware hin zur Software bereits in der Phase der Produktentwicklung. Software bestimmt auch immer mehr das Support-Umfeld, wo heute neue leistungsstarke Optionen mit ins Spiel kommen. Nennen möchte ich in diesem Zusammenhang etwa proaktive Angebote zur Fernwartung und Fernüberwachung, wie wir sie mit InTouchSM Remote Services verstärkt anbieten. Solche Angebote machen nicht selten den Vor-Ort-Termin eines Service-Technikers überflüssig und tragen so zur Kostensenkung für den Kunden sowie zur Steigerung der Verfügbarkeit seiner Wägelösung bei. Das Verhältnis von Hard- zu Software wird damit eigentlich zweitrangig – das eine kann nicht ohne das andere, entscheidend ist die Gesamtlösung.

Analysieren Sie, wie Ihre Software von den Bedienern genutzt wird? Welche Erkenntnisse gewinnen Sie dabei?

Bevor wir mit neuer Software oder Hardware in den Vertrieb gehen, arbeiten wir intensiv mit unseren Pilotkunden zusammen. Dazu zählt auch, dass wir Befragungen zu Bedienfreundlichkeit durchführen und unsere Pilotkunden anregen, Verbesserungsvorschläge zu machen. Da kann es um die Anordnung von Menüpunkten und um Menüstrukturen gehen, das Reaktionsverhalten von Touchscreen-Oberflächen, aber auch ganz naheliegende Dinge wie: Ist die Schrift gut lesbar, haben die Touch-Felder die richtige Größe? Wir sehen die Ergebnisse dieser Befragungen immer mit gespannter Erwartung. Konstruktive Kritik ist uns immer willkommen. Wenn wir schon ab Minute eins Lob erhalten, freuen wir uns. Wenn uns der Pilotkunde sagt, was er vermisst oder was wir besser machen könnten, freuen wir uns genauso. Generell erkennen wir dabei immer wieder: Je einfacher, desto besser. Also keine unnötigen Hürden aufbauen, immer versuchen, das Produkt von Anfang an aus der Perspektive des Kunden zu sehen.

Welche Chancen haben kleine Händler, sich mit ihrer Frischetheke gegen die großen Discounter zu profilieren?

Die wichtigsten Schlagworte sind: Qualität, Regionalität, Eigenprodukte – und kundenorientierter Service. Als kleiner Händler muss ich rauskommen aus einem direkten Preisvergleich, der meist so endet: Das gibt’s beim Discounter billiger! Ja, das tut es. Aber er berät nicht, bringt es dir nicht ins Haus, akzeptiert nicht Bestellung auf Lieferschein, gibt keine Vereinsrabatte und so weiter. Wer kundenorientiert und ideenreich ist, kann den Großen Paroli bieten.

 Wie wird sich der Waagen-Markt entwickeln?

Er wird sich vor allem qualitativ weiter entwickeln. Stichwort: Integration in die Unternehmens-IT. Um die Gesamtkosten der Geräte im Lebenszyklus zu optimieren, werden Waagen in Zukunft außerdem noch mehr Funktionen neben ihrer eigentlichen Aufgabe, dem Wägen, erfüllen. Darin steckt noch viel Potenzial. Infodatenbanken, Digital Signage und elektronisch gestütztes Lernen am Arbeitsplatz bieten einen ersten Vorgeschmack.

Und zum Schluss: Was plant Mettler-Toledo für die nächste EuroCIS im kommenden März?

 Als Schwerpunkt auf unserem Messestand zeigen wir den Erlebniseinkauf der Zukunft, der mit aktueller Technik schon heute möglich ist. Dazu werden wir live an einem Feinkoststand präsentieren, wie Sie unsere Touchscreen-Waagen der UC3 Professional Line als Komplettlösung einsetzen können. Wir haben alles integriert, was es an neuesten Funktionen gibt: den Zugriff auf Frische-Daten für eine kompetente Beratung, die visuelle Verkaufsförderung auf dem großen Kundenmonitor, und natürlich Wägen und Kassieren. Alles in einem Gerät. Im Bereich SB-Wiegen zeigen wir den Einsatz der Touchscreen-Waage UC3-GLT-P als Info-Station für Kunden.

 

Interview:  René Schellbach, iXtenso.com

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