Interview • 21.02.2011
Hersteller helfen beim Self-Checkout mit Analysen und Strategien
Interview mit Hanno Kallmeyer, EMEA Store Business Consultant für die NCR GmbH
Die großen Hardware-Hersteller werden immer mehr zu Unternehmensberatern. Längst erwirtschaften IBM, Wincor, Toshiba oder NCR nur noch einen Teil ihres Umsatzes mit neuer Hardware. Neben dem Kundendienst wird die Software immer wichtiger. Entscheidend ist aber das Denken in den Prozessen des Handels. Wer sich als seriöser, verlässlicher betriebswirtschaftlicher und strategischer Ratgeber profiliert, bekommt neue Aufträge. Das zeigt sich auch im Interview mit Hanno Kallmeyer. Der NCR-Mann ist nicht Verkäufer, sondern Consultant. Was rät er dem Handel bei der Einführung von SB-Kassen? Wo liegen die Stolpersteine? Welche Vorteile sind möglich?
Self-Checkout ist schon seit einigen Jahren ein Messe-Thema in Düsseldorf. Wie ist der aktuelle Stand der Einführung in Europa?
In Europa ist Großbritannien momentan der Vorreiter. Dort sind die meisten Self-Checkout-Systeme im Einsatz und zwar in vielen unterschiedlichen Formaten. Der zweitgrößte Markt in Europa ist Frankreich mit einem Anteil von etwa einem Viertel des britischen Marktes. Italien verzeichnet momentan das stärkste Wachstum. Hier kommen vermehrt SB-Kassen mit einem größeren Funktionsumfang zum Einsatz. Aufgeholt wird in Irland, Spanien, den Niederlanden, Schweden und Deutschland. In einigen dieser Länder ist die Nachfrage nach Selbstbedienung – ausgehend von einem niedrigem Niveau – deutlich gestiegen. Relativ junge, aber umso fortschrittlichere Märkte sind Polen, Portugal, Litauen, Dänemark, Türkei, Slowenien, Kroatien, Tschechien und die Slowakei – in Osteuropa werden meist gleich die modernsten Self-Checkout-Lösungen integriert.
Warum liegt Deutschland Ihrer Meinung nach zurück?
Die deutschen Händler sind bei neuen Verfahren häufig keine „first mover“ – siehe Toll Collect oder Elektronische Gesundheitskarte. Die deutschen Händler setzen vielmehr auf bewährte Methoden. Seit zwei Jahren beobachten wir aber eine merkliche Beschleunigung bei der konkreten Planung von SB-Kassen. Diese Planungen gehen jetzt vermehrt in die Umsetzungsphase.
Wann erwarten Sie den flächendeckenden Durchbruch hierzulande?
Im Sinne der genannten Bewährungsphase werden die Kunden den höheren Servicegrad und die kürzeren Wartezeiten bei den Händlern mit Selbstbedienungssystemen zunehmend honorieren. Ebenso werden diese Händler ihre Filialen effizienter betreiben können und sich somit einen Wettbewerbsvorteil schaffen. Insofern erwarten wir, dass in den nächsten beiden Jahren weitere Händler Self-Checkout prüfen und schnell umsetzen werden. Der Schlüssel zum Erfolg liegt dabei weniger in der Auswahl der Technologie als vielmehr in der zielgerichteten Gestaltung der Prozesse und Verfahren. Händler, die von Anfang an mit dem richtigen Verfahren starten, werden sich durchsetzen.
Was können Sie – die Hersteller – tun, um dem Handel die Entscheidung zur Einführung von SB-Checkout zu erleichtern?
Self-Checkout ist viel mehr als eine „andere Art von Kasse“. Der Kunde steht plötzlich im Mittelpunkt des Vorgangs und nicht mehr der Mitarbeiter. Wir sprechen daher von CcC – Customer controlled Checkout. Auf diesen Paradigmenwechsel müssen die Handelsorganisationen, die Filialen und auch die Kunden eingestimmt werden. Dabei können Einzelhändlern einige Fehler unterlaufen. Machen sie es jedoch richtig, so bietet sich ihnen die Chance, einen weiten Schritt vor den Wettbewerb zu kommen. Das NCR Store Business Consulting Team unterstützt die Einzelhändler bei der Formulierung einer Strategie und Zielsetzung im Rahmen des Customer controlled Checkouts.
Welche Strategie empfehlen Sie dem Handel?
An die Strategie sind die Auswahl passender Selbstbedienungslösungen sowie die Analyse zu erwartender Auswirkungen geknüpft. Auf Basis aktueller Echtdaten des Händlers simulieren wir die Auswirkungen – basierend auf den Erfahrungen mit über 35 Händlern in Europa und diversen Self-Checkout-Filialen, deren Wirkungskreisläufe in einem Analysemodell fixiert sind. Eine Vielzahl von Händlern setzt dieses Verfahren bereits erfolgreich ein, um die ideale Anzahl von SB-Kassen und regulären Kassen in den Filialen zu errechnen. Im Ergebnis kann der Händler die Auswirkungen mit Hilfe von gängigen Wirtschaftlichkeitskennzahlen in verschieden Szenarien vergleichen. Hierzu zählen beispielsweise die Amortisationszeit, der Barwert der Investition, der ROI oder auch die Total Costs of Ownership.
Wie wirken sich Self-Checkouts auf die Organisation im Handel aus?
Auch das ist ein Thema für unser Store Business Consulting Team. Ein Change Management für die Organisation wird erarbeitet, das Layout und individuelle Gestaltung der Filiale erstellt und Bedienungs- sowie Kompetenzschulungen durchgeführt, so dass auch internen Bedenken begegnet und Widerstände ausgeräumt werden.
Erfüllen sich die Erwartungen für den Handel?
NCR lässt seine Händler nicht mit der Lösung allein, sondern betreut die Filialen sowohl im Hinblick auf die Erfüllung der kritischen Erfolgsfaktoren als auch bei der Erfolgsmessung auf Basis hierfür entwickelter Kennzahlensysteme. Ziel ist es, mit dem Händler zunächst die Auswirkungen von Self-Checkout ehrlich und transparent abzuschätzen, die Gestaltung durch die gesammelten Erfahrungen zu leiten und zu begleiten und böse Überraschungen im täglichen Betrieb durch eine intensive Vorbereitung auszuschließen.
Das Store Business Consulting Team besteht aus Fachleuten unterschiedlicher Bereiche wie Management Consulting, Psychologie, Betriebswirtschaft, Human Factors Engineering, Prozessmanagement, Schnittstellen- und Industrietechnik, IT Strategie und Entwicklung sowie Bildung. In der Zusammenarbeit mit NCR können Einzelhändler zum einen von dem Engagement und der von NCR getriebenen Marktentwicklung profitieren, zum anderen aus den Erfahrungen von über 13 Jahren Self-Checkout im Handel schöpfen.
Wie reagieren die Kunden in Ländern, in denen Self-Checkout schon mehr zum Alltag gehört?
Die Konsumenten lassen sich vereinfacht ausgedrückt in drei Gruppen aufteilen: solche die am Checkout gerne etwas Innovatives ausprobieren und entsprechend aufgeschlossen sind; diese nutzen SB-Kassen ganz selbstverständlich. Eine zweite Gruppe lehnt es eher ab oder ist modernen Verfahren gegenüber reserviert; diese sollen sich weiterhin wohlfühlen. Der großen Mehrheit jedoch ist es gar nicht wichtig, welcher Art von Kasse sie sich zuwenden, sie will ihren Einkauf nur möglichst schnell und bei gutem Service erledigen. Die meisten Händler bieten neben dem Self-Checkout auch reguläre Kassen an. Mittlerweile gibt es aber eine wachsende Anzahl von Händlern, die mit großem Erfolg ausschließlich Self-Checkout betreiben, was nicht notwendigerweise bedeutet, dass hier nicht klassisch bedient werden kann.
Welche Erfahrungen lassen sich auf Deutschland übertragen?
Die Lösung muss vor allem zum jeweiligen Händler passen, sowohl im Hinblick auf dessen Kunden als auch auf seine Prozesse und sein Personal. Selbst innerhalb eines Landes kann es hier deutliche Unterschiede geben. Diese resultieren weniger aus kulturellen oder demographischen Faktoren, sondern vielmehr aus den Transaktionsgrößen, den Produkteigenschaften, den Zahlungsmittelgewohnheiten und der Gestaltung der Filialen. Meist gibt es mehr Gemeinsamkeiten zwischen Händlern mit ähnlichen Filialformaten aus unterschiedlichen Ländern, als solche bei leicht unterschiedlichem Format im gleichen Land. Landestypische Unterschiede ergeben sich eher aus der Organisation und den Prozessen, die der Händler in Abhängigkeit von Gesetzgebungen oder Betriebsvereinbarungen einzuhalten hat.
Wie lange dauert es, bis SB-Kassen richtig rund laufen?
Die Technik wird seit mehr als zehn Jahren weiterentwickelt – es sind also keine Kinderkrankheiten mehr für den Händler durchzustehen. Für ein Self-Checkout-Projekt sollten wenigstens sechs Monate eingeplant werden, um neben der technischen Implementierung die ebenso erfolgskritische Einbindung der Organisation und die Vorbereitung der Filiale zu schaffen.
Der Kunde muss sofort mit der SB-Kasse zurechtkommen, andernfalls wird es sehr schwierig, ihn für einen weiteren Versuch zu gewinnen. Unsere Untersuchungen zeigen, dass ein Kunde etwa fünf Kontakte benötigt, bis er sich endgültig entschieden hat, das System weiterhin zu nutzen. Je nach Wiederkehrfrequenz des Kunden kann es somit sehr schnell zu einem Kundenstamm am Self-Checkout kommen. Trotzdem können Kunden im Laufe der Zeit zu einem effizienteren Umgang mit den Systemen angeleitet werden. Genau wie die Mitarbeiter werden sie eine Lernkurve durchschreiten. Dies ist Teil des notwendigen Change Managements.
Wie sollte man das Kostensenkungspotenzial berechnen und welche Ziele sind realistisch?
Zunächst schauen wir auf die Amortisationszeit der Self-Checkout-Investition, diese kann je nach Konsequenz der Umsetzung sehr kurz sein – in manchen Fällen weniger als ein Jahr. Sie kann aber auch deutlich länger sein, sich in manchen Filialen oder Konstellationen auch einmal gar nicht aus einer reinen Kostenreduktionen heraus ergeben. Insofern ist es sehr wichtig bei Einsatz moderner Verfahren, mit der richtigen Konfiguration zu starten und von Anfang an mit dem richtigen Betriebskonzept. Auch ist es sinnvoll, die „weichen Nutzen“ zu quantifizieren, um die Investitionsalternativen vergleichbar zu machen. Im nächsten Schritt zählen dann der Barwert der Investition und die Projektion der Gesamtkosten im Zeitablauf.
Wie viel Wartezeit an der Kasse sparen die Kunden?
Die Unterscheidung von Wartezeit und Kassierzeit ist sehr wichtig, denn obwohl die reine Kassierzeit für den Kunden am Self-Checkout üblicherweise etwas länger ist, ist die Gesamtzeit – also die Summe aus Warte- und Kassierzeit – meist wesentlich kürzer. Zudem wird Wartezeit als unangenehmer wahrgenommen als die aktive Kassierzeit.
Die eingesparte Zeit ist abhängig von der Größe der Kassenzone, von der tatsächlichen Kapazität – die meist durch geringen Personalbestand wesentlich kleiner ist. Die gesparte Zeit ist auch abhängig von der Effizienz beim Kassiervorgang und natürlich von der Kundenfrequenz. Wir nutzen für die Vorhersage dieser Auswirkungen umfangreiche Rechenmodelle und auch Videoanalysen.
Wie ehrlich sind die Kunden beim Scannen?
Unsere Erfahrungen sowie unabhängige Befragungen zeigen, dass der unerklärliche Schwund der Händler meist neutral bleibt, in manchen Fällen sogar positiv beeinflusst wird. Diejenigen Kunden, die etwas stehlen wollen, tun dies meist im Geschäft und versuchen kaum, dies in der exponierten Self-Checkout-Zone zu tun. Einzelne Händler berichten auch, dass die Ehrlichkeit der Kunden – z.B. bei der Auszeichnung von Frischeartikeln – größer ist als der ansonsten durch die Kassierer zum Teil falsch erfassten Werte. Technisch wird die Schwundvermeidung durch intelligente Packstationen für den Kunden unaufdringlich unterstützt: Sie prüft mit Hilfe einer integrierten Waage, ob das Gewicht der in die Tüte gelegten Artikel auch dem Gewicht der gescannten Ware entspricht. Besondere, nicht einzupackende Artikel können davon ausgenommen werden, sämtliche Gewichte werden laufend selbstgelernt und müssen nicht aufwändig eingepflegt werden.
Worauf muss man achten, damit speziell Senioren mit dem Touchscreen, der Menüführung und dem Scannen zurecht kommen?
Die Touchscreens müssen einfach und übersichtlich sein – weniger ist häufig mehr. In der Regel haben ältere Menschen keine Probleme bei der Nutzung, auch die Akzeptanzrate ist nicht wesentlich geringer – im Gegenteil, viele freuen sich, an etwas Innovativem teilzuhaben und schätzen die Privatsphäre und eigene Kontrolle. Um die Lernphase kurz zu halten, benötigen sie zum Teil anfangs etwas mehr Unterstützung, insbesondere wenn sie schlechter sehen.
Scannen, Bezahlen, Einpacken, getrennt oder an einem Ort – es sind verschiedene Kombinationen möglich. Welche Kombinationen setzen sich durch?
Seit langem die beliebteste Variante ist das All-In-One-System, das es dem Kunden ermöglicht, seine Ware an einem einzigen kompakten Gerät selbst zu scannen, direkt einzupacken und dabei technisch die Richtigkeit kontrollieren zu lassen, um dann am selben Gerät den Bezahlvorgang bar oder mit der Karte abzuschließen. Ein Vorteil ist, dass der Kassierer nicht mehr direkt mit dem Bargeld arbeiten muss. Auch kann das Cash-Recycling eingezahlter Münzen und Banknoten den Einzelhändler beim Bargeldmanagement entlasten.
Was sagen Sie zu SB-Scanning mit Mobilterminals und Bezahlen an der Kasse oder am Automaten?
NCR bietet sowohl integrierte Systeme für SB-Scanning, Bezahlterminals für separate Bezahlung als auch All-In-One Self-Checkout-Systeme – und das auf der gleichen Plattform; so kann die Investition in eine Plattform flexibel genutzt werden. Die In-Aisle Scanning Lösung, bei der der Kunde mit großen Einkäufen seine Waren direkt am Regal scannt, kann eine gute Ergänzung darstellen, wenn die Filiale viele große Einkäufe verzeichnet. Ansonsten ist das Verhältnis aus Rüstzeit und Zeitersparnis für den Kunden nicht gegeben.
Den Bezahlvorgang führt man idealerweise an einem Self-Checkout-Gerät aus, an dem der Kunde dann auch nicht scanfähige Waren nacherfassen oder stichprobenartig durch einen Mitarbeiter kontrolliert werden kann. So ließe sich die Investition in Selbstbedienung gut über mehrere Lösungen und die Palette der Warenkörbe verteilen und die Vorteile aus dem Marketing- und Kontrollaspekt der Mobilgeräte könnten gut genutzt werden. In Zukunft werden Lösungen, die der Kunde auf seinem Smartphone nutzt, noch weitere Vorteile schaffen, insbesondere im Hinblick auf die Personalisierung des Einkaufserlebnisses bis hin zum Abschluss an einer personalisierten SB-Kasse.
Interview René Schellbach, EuroShop.de
Themenkanäle: Self-Checkout-Systeme